Italien verlangt von Sea-Eye, den Anweisungen der sog. libyschen Küstenwache zu folgen
31. Oktober 2023
Am Montagnachmittag wurde der Kapitän der SEA-EYE 4 darüber informiert, dass das Rettungsschiff erneut mit einer Verwaltungshaft von 20 Tagen und einer Geldstrafe von rund 3.000 Euro bestraft wird. Konkret wirft die italienische Küstenwache der Besatzung des Schiffes vor, den Anweisungen der sogenannten libyschen Küstenwache keine Folge geleistet zu haben.
Tatsächlich forderte die sogenannte libysche Küstenwache unter der Androhung von Gewalt die SEA-EYE 4 in internationalen Gewässern dazu auf, den Kurs zu ändern und das Seegebiet Richtung Norden zu verlassen. Im Folgenden bedrängte die sogenannte libysche Küstenwache ein Schlauchboot mit rund 50 Menschen so sehr, dass Panik ausbrach und Menschen ins Wasser stürzten.
Sea-Eye veröffentlichte zu dem Vorfall Videomaterial, das eindeutig zeigt, dass die Libyer gefährliche Manöver in der unmittelbaren Nähe des Schlauchboots vollzogen.
„Der Kapitän des libyschen Küstenwachenschiffs verfolgte und bedrängte das Schlauchboot auf gefährliche Weise, während seine Besatzung gleichzeitig Zigarette rauchend und mit dem Handy filmend an der Reling stand. Dies hat mit Seenotrettung rein gar nichts zu tun!”, sagt Jan Ribbeck, Einsatzleiter von Sea-Eye e.V.
Durch das rücksichtslose und aggressive Verhalten der sogenannten libyschen Küstenwache verloren mindestens vier Menschen das Leben.
„Hätte die SEA-EYE 4 das Seegebiet verlassen, wären noch mehr Menschen ums Leben gekommen und niemand hätte von dieser Tragödie erfahren”, sagt Ribbeck weiter.
Sea-Eye bat den Experten Prof. Dr. Valentin Schatz, Juniorprofessor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Leuphana Universität Lüneburg um eine rechtliche Einordnung. „Die Festhalteverfügung und das Bußgeld entbehren jeder völkerrechtlichen Grundlage und verletzen die Bundesrepublik Deutschland in ihren durch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) garantierten Rechten als Flaggenstaat der Sea-Eye 4. Nach dem SRÜ ist es allein Sache des Flaggenstaates, der Seenotrettung dienende Verhaltensregeln mit Geltung für seine Schiffe in internationalen Gewässern zu erlassen. Dieses völkerrechtliche Kompetenzgefüge wird vom Internationalen Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See (SAR-Übereinkommen), auf das sich Italien hier selbst beruft, nicht angetastet, sondern vielmehr bestätigt. Das SAR-Übereinkommen überträgt Küstenstaaten keinerlei zusätzlichen Hoheitsrechte, auf deren Grundlage sie das Verhalten ausländischer Schiffe in internationalen Gewässern regeln und sanktionieren dürften. Deutschland, der Flaggenstaat der Sea-Eye 4, hat zur Um- und Durchsetzung des SAR-Übereinkommens die Verordnung über die Sicherung der Seefahrt erlassen. Ein Verdacht auf rechtswidriges Verhalten kann der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt mitgeteilt werden. Dadurch, dass die italienischen Behörden sich hier Rechte anmaßen, die völkerrechtlich allein dem Flaggenstaat Deutschland zustehen, verstößt Italien gegen das SRÜ. Dies dürfte der italienischen Regierung auch klar sein, denn Italien wurde bereits im Jahr 2019 in einem Verfahren vor den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg wegen eines ähnlichen – allerdings sogar weniger offensichtlichen – Verstoßes gegen das SRÜ verurteilt (The M/V “Norstar” Case (Panama v. Italy), Urteil vom 10. April 2019, Rn. 222)”, so Schatz.
Sea-Eye wird auch gegen die dritte Festsetzung des Rettungsschiffs in 2023 Klage erheben. Außerdem wird die Seenotrettungsorganisation juristisch prüfen lassen, ob die Verzögerungen bei der medizinischen Evakuierung einer von der SEA-EYE 4 geretteten, schwangeren Frau justitiabel sein könnten. Die Einsatzleitung an Bord hatte am Freitag mehrere Stunden um die Evakuierung der Schwangeren gebeten, weil sie sich in einem lebensgefährlichen Zustand befand. Die Rettungsleitstelle in Rom verwies daraufhin auf die Zuständigkeit Libyens und lehnte die Koordinierung der Evakuierung ab. Libyen schickte jedoch auf eine Anfrage der SEA-EYE 4 keine Antwort. Das MRCC Rom wies die SEA-EYE 4 schließlich an, Lampedusa anzusteuern.
„Die Anfahrt dauerte noch einmal acht Stunden. Wäre ein Crewmitglied selbst betroffen gewesen, hätte man sicher nicht verlangt, dass die betroffene Person nach Tripolis evakuiert wird oder acht weitere Stunden auf dem Schiff verbleibt. Genau hier wird ein Unterschied gemacht, der als das benannt werden muss, was es ist: Rassismus”, so Isler. Italienische Journalist*innen berichteten, dass die Frau ihr ungeborenes Kind verloren hat. „Ein sofortiges Agieren der italienischen Behörden hätte möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt”, sagt Isler weiter.
https://sea-eye.org/rettungsschiff-sea-eye-4-in-vibo-valentia-festgesetzt/
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